NAH MAGAZIN / ENDRESS+HAUSER UND RECKLI

Von Kultur und Kulturen: Leitbilder im deutschen Mittelstand

 
 

Bei Endress+Hauser ist es der Spirit, bei RECKLI die Formel: Wie mittelständische Unternehmen ein gemeinsames Verständnis davon finden, was sie ausmacht.

In Zeiten tiefgreifender Veränderungen gewinnen Werte als Orientierungshilfe für jeden Einzelnen an Bedeutung. Besonders dann, wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie die Veränderungen nicht ausreichend selbst beeinflussen können. Sie helfen dabei, die eigene Identität zu definieren und stärken die Identifikation, sowohl mit anderen Menschen als auch mit Organisationen und Unternehmen, ob als Mitarbeiter oder Kunde. Deshalb hat die Besinnung auf Leitbilder und die (Neu-)Definition der Unternehmenskultur heute, da Firmen vieles zurücklassen und neu erschaffen müssen, Hochkonjunktur.

 

Leitbilder fassen diejenigen Werte zusammen, die Unternehmen wichtig sind, die sie leben wollen und die ihre Kultur prägen sollen. Mitarbeiter, Kunden und Partner verstehen dadurch besser, wofür ein Unternehmen steht – auch über seinen eigentlichen Zweck der direkten Wertschöpfung hinaus. Denn Kunden, vor allem aber Arbeitnehmer, erwarten heute von Unternehmen zunehmend klare Haltung und Authentizität.

 

"Niemand muss Angst davor haben, etwas falsch zu machen, aber man sollte unbedingt daraus lernen."

Während bestimmte Kernwerte für alle Unternehmen von hoher Bedeutung sind, gibt es bei anderen Grundsätzen Unterschiede. Diese finden sich auch in der Entstehung beziehungsweise Gestaltung von Leitbildern. Einen Blick hinter die Kulissen gewähren zwei sogenannte Hidden Champions aus dem deutschen Mittelstand: Endress+Hauser und RECKLI, die in ihren jeweiligen Branchen zur internationalen Spitze zählen. So stehen in beiden Unternehmen Qualität, Innovation und der respektvolle Umgang untereinander sowie mit Kunden an vorderster Stelle. Andere Schwerpunkte setzen die beiden Unternehmen jedoch unterschiedlich.

The Spirit of Endress+Hauser

Den größten Teil seines Arbeitslebens hat Nikolaus Krüger, Vorstand für Vertrieb, Engineering und Service bei Endress+Hauser, im Unternehmen verbracht. „Besonders schätze ich hier die Beinfreiheit, wie ich es nenne“, sagt er. „Das Familienunternehmen gibt die Freiräume, die man als Mensch im Beruf braucht.“ Dazu gehört unter anderem die Fehlerkultur: „Ich habe viele Fehler gemacht und daraus gelernt. Das halte ich als Chef heute noch so. Niemand muss Angst davor haben, etwas falsch zu machen, aber man sollte unbedingt daraus lernen.“ Die Voraussetzung dafür ist ein Klima des Vertrauens, das bei Endress+Hauser vorherrscht. Damit gelingen auch große Veränderungen, wie die Harmonisierung aller weltweiten Vertriebsorganisationen oder die Integration neuer Firmen. „Veränderungen werden bei uns nicht als übermäßig brachial empfunden, weil das Fundament, der Wertekanon, vorbereitet und verinnerlicht ist. Das macht es einfacher“, erklärt Krüger.
 

"Veränderungen werden bei uns nicht als übermäßig brachial empfunden, weil das Fundament, der Wertekanon, vorbereitet und verinnerlicht ist."

 

Den Grundstein des „Spirit of Endress+Hauser“, wie das Leitbild dort betitelt ist, haben Vertreter der Gründerfamilie selbst gelegt: „Sie haben sich selbst einer Familiencharta verpflichtet, die sowohl das Verhältnis zum Unternehmen und den Umgang miteinander als auch die Bedingungen, unter denen Familienmitglieder im Unternehmen tätig sein dürfen, regelt“, erklärt Krüger. Einige dieser Grundsätze bilden das Fundament des heute global gültigen Leitbilds der Unternehmens-Gruppe. Schon vor Jahrzehnten hatte der Firmengründer die Unternehmens- und Führungsgrundsätze in einem Credo und einer Charta festgehalten, bis sie in jüngster Zeit im Spirit of Endress+Hauser vereinigt wurden, der die Firmenkultur in Worte fasst.

Ein innovatives Umfeld, Nachhaltigkeit bei der Personalführung und Unternehmensplanung sowie Loyalität hebt Krüger als besonders prägende Elemente der Endress+Hauser-Kultur hervor: „Loyalität steht ja auch im engen Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. Wir haben unseren Kunden geholfen, die Kunden haben uns geholfen. Das verbindet und schafft Vertrauen. Und darauf lässt sich bekanntlich am besten bauen.“

 

"Was wir versprechen, halten wir auch. Wasser predigen und Wein trinken, das geht nicht."

 

Krüger betrachtet besonders die Vorbildrolle der Führungskräfte als Erfolgsfaktor für eine gelebte Unternehmenskultur: „Was wir versprechen, halten wir auch. Wasser predigen und Wein trinken, das geht nicht.“ Nicht nur in der Interaktion mit den Kunden, sondern auch mit der Belegschaft. So schreibt etwa der Vorstand ein internes Blog, das die Mitarbeiter aktiv zur Diskussion auffordert. „Dort bekommen wir viel Rückkopplung darüber, was den Mitarbeitern auf dem Herzen liegt.“

Außerdem stehen bei internen Veranstaltungen die Themen Wertesystem und Kultur im Fokus, so Krüger: „Da sprechen auch Familienmitglieder wie zum Beispiel Klaus Endress, Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe, oder der CEO Matthias Altendorf. Damit auch neue Mitarbeiter verstehen, wo wir herkommen und wie wir ticken. Dieses Verständnis ist elementar, um sich mit Endress+Hauser und der dort gelebten Kultur zu identifizieren.“

Die RECKLI Formel

„Vertrauen, und dass der Mensch im Mittelpunkt steht, sind bei RECKLI schon immer unverhandelbare Werte“, erklärt Dr. Bernd Trompeter, Geschäftsführer von RECKLI. Wie Krüger bei Endress+Hauser ist auch Trompeter bereits im dritten Jahrzehnt bei der Firma. Wenngleich kein ausgemachtes Familienunternehmen, herrscht dennoch ein familiärer Geist bei RECKLI vor – geprägt durch den für ein mittelständisches Unternehmen in den siebziger Jahren durchaus üblichen patriarchalischen Führungsstil. „Der Umgang war stets aufrichtig, die Kommunikation ehrlich“, erinnert sich Trompeter. „Für damalige Zeiten eine sehr angemessene und starke Kultur.“
 

"Vertrauen, und dass der Mensch im Mittelpunkt steht, sind bei Reckli schon immer unverhandelbare Werte."

Es stieg jedoch der Bedarf nach Veränderung, der zuletzt durch den Generationswechsel ausgelöst wurde. Langjährige Mitarbeiter trafen auf neue, Dynamiken und Sichtweisen waren verschieden. Trompeter krempelte daher Verwaltung, Produktion und Marketing grundlegend um. Stets mit dem Faktor Mensch im Fokus. Zum Beispiel werden seitdem über zehn verschiedene Seminare angeboten, etwa zur Kommunikation auf Augenhöhe, unabhängig von Hierarchien, an denen Werkmitarbeiter und Geschäftsleitung gemeinsam teilnehmen.
 
Die Veränderung brachte auch Herausforderungen: Einige fühlten sich von den Neuerungen überfordert, andere „schwebten“ zwischen den Kulturen. „Ein Leitbild, das wirklich zu uns passt, sollte Orientierung geben“, so Trompeter. Erarbeitet hat die auf zehn Punkte verdichtete RECKLI-Formel ein heterogenes Team von Mitarbeitern – alte und neue, aus unterschiedlichen Hierarchiestufen – in Workshops. Die Ergebnisse deckten sich mit den Prioritäten Trompeters: „RECKLI ist in 65 Ländern vertreten, es geht sehr bunt bei uns zu, mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Nationen. Wir sehen Vielfalt als Bereicherung und einen Wert, der uns antreibt“, erklärt der Geschäftsführer. „Diskriminierung hat bei uns keinen Platz. Wir haben deshalb schon die Zusammenarbeit mit einem Lieferanten beendet.“
 

"Ein Leitbild, das wirklich zu uns passt, sollte Orientierung geben."

Intern sorgt ein Programm zur Wahrung der RECKLI-Formel dafür, dass jeder Mitarbeiter sich bei etwaigen Verstößen gegen die Grundprinzipien durch Kollegen oder gar Vorgesetzte vertrauensvoll Unterstützung suchen kann, falls Gespräche darüber ergebnislos bleiben. „Glücklicherweise mussten wir das Programm noch nicht aktivieren“, betont Trompeter.
Aufgrund ihrer Aktualität ist die RECKLI-Formel derzeit noch im internationalen Roll-out begriffen. Lokalisierung spielt hier eine große Rolle. „Wir sind ja aus dem Ruhrgebiet und reden Klartext. Da gibt es beispielsweise schon mit der französischen Mentalität Verständnisprobleme, wo es eher um Nuancen geht. Auch, was die Übersetzung von Begriffen angeht“, so Trompeter.
 

"Wir sehen Vielfalt als Bereicherung und einen Wert, der uns antreibt."

„Das betrifft aber auch andere Sprachen und Länder. In den USA hingegen war es relativ einfach. Mit Frankreich hilft uns eine interkulturelle Mittlerin, eine gebürtige Französin, die bei uns am Unternehmenssitz arbeitet und das Bindeglied zwischen den beiden Kulturen bildet. Dank ihr sind wir auch dort so gut wie am Ziel.“
 

Die Endress+Hauser Gruppe ist ein führender Anbieter von Prozess- und Labormesstechnik, Automatisierungslösungen und Dienstleistungen.

Für das 1953 gegründete Familienunternehmen arbeiten heute weltweit 14.000 Menschen in 50 Ländern und erwirtschafteten 2017 einen Umsatz von mehr als 2,24 Milliarden Euro.

Als Familienunternehmen stehen nachhaltiger Erfolg und verantwortungsvolles Handeln im Mittelpunkt. Die Firmenkultur wird formuliert im ‚Spirit of Endress+Hauser‘.

Die Geschichte von RECKLI begann 1968 mit der Idee der mittlerweile verstorbenen Gründer Hans-Jürgen Wiemers und Franz Ernst, Beton mithilfe elastischer Matrizen zu strukturieren, um ihn ästhetisch und wirtschaftlich zu gestalten.

50 Jahre später ist das Unternehmen in 100 Ländern präsent, in 65 davon mit eigenen Mitarbeitern. Zufällig entstand im Jubiläumsjahr die ‚RECKLI-Formel‘: das Leitbild, das die Zusammenarbeit und das Selbstverständnis des Unternehmens in zehn Punkten zusammenfasst.

 

Weitere interessante Artikel im Nah Magazin

 
Werteorientierte Unternehmensführung: Was zählt, ist der Beitrag
mytaxi zählt zu den erfolgreichsten Innovatoren des Mobilitätsbusiness. Dazu trägt entscheidend bei, welchen Werten sich mytaxi und der neue CEO Eckart „Ecki“ Diepenhorst verpflichtet fühlen.
Tradition heißt auch, Neues wagen
Paulaner, die Marke mit dem weltbekannten Mönchskopf-Logo, ist nahezu ein Wahrzeichen Münchens. Christiane Uhl, HR-Geschäftsführerin der Gruppe, über Selbstbestimmtheit und die Bedeutung von Tradition in Zeiten des Wandels.
 

Abonnieren Sie Nah kostenlos, um neue Artikel sofort zu erhalten.