Nicole Brandes ist Changemakerin, gefragte Keynote-Speakerin und gilt als eine der führenden Vordenkerinnen Europas: „Zukunft und speziell ihr temporeicher Wandel verlangen von uns eine neue Haltung“, findet die ehemalige Managerin und ist überzeugt, „dass wir High Tech nur mit High Touch begegnen können.“ Was genau das bedeutet und welche Chancen sie darin sieht, erklärt sie im Interview.

Technologien wie Cloud, Mobile, Social, IoT und AI bilden gerade eine perfekte Welle, die völlig neue Chancen eröffnet. Alles ändert sich. Was bedeutet das für uns Menschen? Technologie eröffnet uns unermessliche Chancen und fantastische Vorteile. Algorithmen und intelligente Maschinen steigern unsere Effizienz, haben weder ein Bewusstsein noch Empathie noch Ethik. Der Sinn des Lebens besteht meines Erachtens nicht darin, unsere Effizienz immer weiter zu steigern, sondern darin, glücklich zu sein. Unser Glück und das Glück unserer Kunden, unserer Lieferanten und Mitarbeiter geht doch weit über Effizienz hinaus. Wir sollten uns also nicht nur mit den großen treibenden Kräften auseinandersetzen, sondern auch mit der Frage: Wo bleiben wir als Mensch? Technologie verändert was wir tun, wie und warum wir es tun, sogar wer wir sind. Das setzt ein erweitertes Verständnis voraus, was es bedeutet, Mensch zu sein. Wir lernen das weder in der Schule noch im Management. Dieses Verständnis gilt es zu verbessern und zu fördern.

Was heißt das für den Arbeitnehmer?

Sämtliche Routinejobs werden automatisiert.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Alles, was
nicht automatisiert werden kann, wird äußerst wertvoll: kritisches Denken, Führen, Verhandeln, Geschicklichkeit, Kreativität und emotionale Intelligenz. Die Zukunft gehört den „Top- Geistesarbeitern“ wie Führungskräften, Ärzten, Architekten und Software-Entwicklern. Aber auch Berufe, die sich mit Menschen beschäftigen wie Lehrer und Krankenpfleger, werden gefragt sein. Roboter werden Köche oder Friseure nicht ersetzen, sondern ihnen helfen. Wir werden weniger im Büro sitzen und viel projektbezogener arbeiten, unterstützt von Maschinen. Mehrere Jobs gleichzeitig – auch das wird nicht ungewöhnlich sein: Neben unserem Hauptjob vermieten wir ein Zimmer oder kochen für ein Food-Start-up. Auch solche Szenarien zählen zum Plan F(uture). Die beruflichen Anforderungen werden laufend steigen, Neugier und lebenslanges Lernen zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren.

Was bedeutet das für die Rolle von Unternehmen in unserer Gesellschaft?

Unternehmen sind die Gestalter der Zukunft. Sie haben damit eine hohe gesellschaftliche Verantwortung. Früher waren Banken und Öl-Firmen die Influencer und Schaltzentralen der Macht. Heute sind es die High-Tech-Firmen im Silicon Valley, dem Epizentrum der Zukunft. Umso wichtiger ist es, dass wir uns alle an der Diskussion beteiligen: Wie wollen wir künftig leben und arbeiten? Was ist „gute“ Arbeit? Wo setzen wir ethische Standards an? Und wie werden wir in einer globalen Gesellschaft, wo sich scheinbar alles Identitätsstiftende auflöst, einem Grundbedürfnis wie Zugehörigkeit gerecht? Das fordert von Unternehmen, an dieser Stelle einzuspringen und ihren Mitarbeitern und Kunden eine „Heimat“ über Werteangebote zu bieten. Unternehmen wie Patagonia setzen das bereits um. Sie raten Konsumenten, ihre Produkte nur dann zu kaufen, wenn sie diese auch wirklich brauchen, sodass die Umwelt geschont werden kann. Marc Benioff von Salesforce sagt, das Leben könne nicht nur daraus bestehen, Software zu verkaufen. Daher bringt sich jeder Mitarbeiter an sieben bezahlten Arbeitstagen in einer gemeinnützigen Institution ein. Auch kleine Unternehmen werden zu großen Beispielen: so etwa das Berliner Start-up Soulbottles, das plastik- freie Trinkwasserflaschen herstellt und einen Euro pro verkaufter Flasche an eine NGO spendet. Wir brauchen mehr Unternehmer, die so denken und handeln. Die nicht nur einen Blick auf den Shareholder Value haben, sondern sich als Teil eines großen Ganzen verstehen. Das gibt Sinn und Orientierung. Das hat eine ganz starke Anziehungskraft – auf Kunden und Mitarbeiter!

Viele Branchen, Firmen und Organisationen müssen sich gerade neu erfinden.
Welche Aspekte sind dabei erfolgskritisch?

Wir alle sind gefordert, uns neu zu erfinden. Experimentieren und evolutionäres Lernen werden zum Fit-Prinzip. Dazu braucht es Pioniergeist und Mut, sich permanent auf unsicherem und unbekanntem Terrain zu bewegen, sowie den Willen, Neues zu entdecken. Neugier ist die treibende Kraft der Entwicklung. Sich erfolgsverwöhnt zurückzulehnen, birgt meines Erachtens ein großes Risiko, irrelevant zu werden. Stattdessen gilt
es zu kollaborieren und Grenzen zu öffnen. Eine komplexe Umwelt benötigt komplexes Denken: Wir können die Zukunft nicht mehr alleine schultern. Wir brauchen die Weisheit der Vielfalt, nämlich unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen, Weltbilder. Dabei kann
es leicht zu Werte-Clashes kommen. Um diesen Austausch zu ermöglichen, braucht es eine starke Führung und durchlässige Organisationsstrukturen. Führungskräfte sind also an allen Fronten gefordert: Sie kommen am Diversitätsprinzip nicht mehr vorbei und benötigen dazu hohe Beziehungsfähigkeit. Sie müssen die Strukturen für die gegenwärtige Wettbewerbsfähigkeit stabilisieren und gleichzeitig für Flexibilität sorgen, um das Neue zu ermöglichen. Strukturen müssen wachsen und können nicht einfach über Nacht umgestellt werden. Umso mehr heißt das: losgehen, das Unmögliche denken und sich auf das Mysterium ewigen Entdeckens und permanenten Lernens einlassen.

Sie sagen, „weiche Faktoren sind die harte Währung der Zukunft“, was meinen Sie genau damit?


In wenigen Jahren werden Digitalisierung, Automatisierung und Hyperpersonalisierung zum Alltag werden. Künstliche Intelligenz wird zum Standard und emotionale Intelligenz wird zum Schlüssel. Menschen brauchen zum Überleben nicht irgendeine, sondern eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Umwelt. Die Zukunft gehört denen, die Menschen in ihren Grundbedürfnissen wie Geborgenheit, Anerkennung, Sinn, Mitgefühl und Liebe erreichen. Technologie bietet uns fantastische Möglichkeiten, unser Leben besser und komfortabler zu gestalten. Aber sie ist Werkzeug, das dem Menschen dient. Nicht umgekehrt. Es war nicht die Rakete, die uns auf den Mond schickte, sondern ein Traum. Und ein Team, das an diese Vision geglaubt und sie mit Leidenschaft verfolgt hat. Die Maschine gibt die Leistung. Der Mensch gibt den Sinn. Nur mit diesem Verständnis, mit der Entdeckung des High Touch, sind wir in der Lage, die perfekte High-Tech-Welle zu surfen. 

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